Wir wissen heute bereits wie die Bundestagswahl wahrscheinlich ausgeht – und es ist trotzdem noch spannend
Eine frühere Version dieses Beitrags erschien zuerst am 1. September 2017 als Teil der Causa - Tagesspiegel Debatte „Wie vorhersehbar ist die Bundestagswahl?”. Im Folgenden haben wir die Zahlen im Text aktualisiert (Stand: 6. September 2017) und einen Absatz zu Koalitionsszenarien (auf Anregung eines Leserkommentars) eingefügt. Bei unseren Koalitionsszenarien geht es nur darum, ob eine Koalition eine rechnerische Mehrheit im nächsten Bundestag hat. Über mögliche inhaltliche Überschneidungen der Parteien haben unsere Kollegen Christian Stecker und Thomas Däubler einen sehr interessanten Beitrag für ZEIT ONLINE verfasst: Große Koalition oder große Komplikationen.
Umfragen sind fehleranfällig. Kann man trotzdem knapp drei Wochen vor der Bundestagswahl bereits vorhersagen, wie die Wahl ausgeht? Wir glauben ja. Wir von zweitstimme.org liefern eine Prognose für die kommende Bundestagswahl und kommunizieren vor allem auch die Unsicherheit, die mit unserer Prognose verbunden ist. Trotz aller Unsicherheit kann man den Ausgang der Wahl seriös mit Wahrscheinlichkeiten beziffern. Wir erläutern, warum der Ausgang der Wahl bereits abschätzbar ist, es aber trotzdem spannend bleibt.
Umfragen sind keine Prognosen.
Wie bereits in den anderen Beiträgen dieser Debatte erläutert wurde, sind Umfragen keine Prognosen. Sie werden aber häufig als solche präsentiert und interpretiert. Im Gegensatz zu Umfragen möchten wir mit unserem Prognosemodell nicht die hypothetische Frage beantworten, die in der Sonntagsfrage gestellt wird ("Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre..."). Stattdessen geht es uns darum, den tatsächlichen Wahlausgang vorherzusagen.
Wie kann man eine Prognose für die Bundestagswahl erstellen?
Vereinfacht gesagt kombinieren wir historische Informationen zu vergangenen Bundestagswahlen (zum Beispiel ob eine Partei den Kanzler oder die Kanzlerin stellt, oder das Wahlergebnis bei vorherigen Wahlen) mit aktuellen Umfragedaten. Diese Informationen nutzen wir dann für unser Modell. Unser Modell wird über einen sogenannten MCMC-Algorithmus geschätzt. Dabei wird - bildlich gesprochen - der Wahlausgang viele Male simuliert; in unserem Fall 100.000 mal. Unsere Simulationen erlauben es uns, alle auf den vorhergesagten Zweitstimmen-Ergebnissen beruhenden Ereignisse mit Wahrscheinlichkeiten zu beziffern.
Prognosen über zukünftige Ereignisse sind immer mit Unsicherheit verbunden.
Prognosen über zukünftige Ereignisse sind immer mit Unsicherheit verbunden. Präsentiert werden Prognosen – beliebt sind neben Wahlprognosen auch Wetterprognosen oder Konjunkturprognosen – aber häufig als Tatsachen ohne Unsicherheit. Morgen ist es bewölkt bei 19° und die deutsche Wirtschaft wächst dieses Jahr um 2%. Sicher?
Deshalb präsentieren wir die Unsicherheit unserer Prognosen transparent. Dabei gibt es gleich mehrere Quellen von Unsicherheit. Umfragen sind mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Das hat sowohl statistische Gründe (es wird eben nur ein mehr oder weniger zufällig ausgewählter, kleiner Teil der Bevölkerung befragt) als auch Ursachen, die in den Designentscheidungen (z. B. Telefon- oder Onlineumfrage) der Umfrageinstitute zu finden sind. Neben der Fehlertoleranz von Umfragen gibt es allerdings noch andere Quellen von Unsicherheit in unserer Vorhersage. Dafür gibt es kein Patentrezept. Die Unsicherheit unserer Prognose ergibt sich letztendlich daraus, wie zuverlässig das Modell die Ergebnisse vergangener Wahlen vorhergesagt hat.
Wie geht die Wahl also wahrscheinlich aus? Die folgenden Zahlen liefert unser Modell am 6. September.
Die CDU/CSU wird wahrscheinlich verlieren – und trotzdem nahezu sicher stärkste Kraft.
In 82 von 100 unserer Simulationen (tatsächlich in ca. 82.000 der 100.000 Simulationen) schneidet die Union schlechter ab als 2013, damals erreichte sie 41,5%. Ist die Union damit eine Verliererin der Wahl? Das kommt darauf an, wie die Spin-Doktoren es am Wahlabend kommunizieren. Nahezu sicher ist nämlich, dass die Union trotzdem wieder stärkste Kraft im Bundestag wird. Dieses Ergebnis beobachten wir in 93 von 100 Simulationen.
Will die SPD regieren, bleibt ihr sehr wahrscheinlich nur die große Koalition – als Juniorpartnerin.
In 64 von 100 unserer Simulationen schneidet die SPD schlechter ab als 2013, damals erreichte sie 25,7%.
In 90 von 100 Simulationen ist die einzige Möglichkeit, für die SPD Teil der Bundesregierung zu bleiben, erneut als Juniorpartnerin in eine große Koalition einzutreten. Gleichzeitig heißt dies aber auch, dass Martin Schulz in 10 von 100 Simulationen zumindest rechnerisch Kanzler werden könnte. In diesen Simulationen kann es aber auch Möglichkeiten zu einer Regierungsbildung jenseits der SPD geben. In anderen Worten: Das Martin Schulz Kanzler wird, ist sehr unwahrscheinlich.
Wer drittstärkste Kraft im Bundestag wird, ist noch völlig offen.
Im Vergleich zu 2013 werden die FDP und AfD nahezu sicher besser abschneiden. Beide Parteien erreichen in mehr als 99 von 100 Simulationen bessere Ergebnisse (die FDP erreichte 2013 4,8%, die AfD 4,7%). Die verbesserten Ergebnisse für beide Parteien sowie der Wieder- bzw. Ersteinzug ins Parlament wird es deshalb beiden erlauben, sich in der Wahlnacht als Gewinnerin zu sehen.
Die AfD ist in unseren Simulationen zudem etwas häufiger als die anderen kleinen Parteien drittstärkste Kraft – in 37 von 100 Simulationen.
Auch für die Linke ist in unseren Simulationen der dritte Platz in Reichweite– in 32 von 100 Simulationen. Wird die Linke am Wahlabend tatsächlich drittstärkste Kraft, kann sie sich am Wahlabend auch als Gewinnerin sehen. Allerdings ist sie es in 68 von 100 Simulationen nicht.
Die FDP ist in 21 von 100 Simulationen drittstärkste Kraft. Das zeigt, dass das Rennen um Platz 3 vor allem zwischen AfD, Linke und FDP noch völlig offen ist.
Für die Grünen sieht es weniger gut aus. Die Grünen sind in nur 10 von 100 Simulationen drittstärkste Kraft und schneiden in 72 von 100 Simulationen schlechter ab als 2013, damals erreichten die Grünen 8,4%. Die Grünen könnten am Wahlabend trotzdem Gewinner werden – als KanzlerInnen-Macher. Angenommen die SPD will als Juniorpartnerin nicht mehr in eine große Koalition und keine Partei will mit der AfD koalieren, dann gibt es eine Regierungsbildung in 59 von 100 Simulationen nur mit den Grünen – wir schätzen das als möglich ein.
Weitere Koalitionsszenarien.
In 52 von 100 Simulationen gibt es nur die Auswahl zwischen großer Koalition und Jamaika. Das ist also durchaus möglich.
Wie oben beschrieben, ist es durchaus möglich, dass es keine Regierungsbildungsmöglichkeit ohne die Grünen gibt (unter der Annahme, dass die SPD nicht nochmal als Juniorpartner in eine große Koalition geht). Aber wie wahrscheinlich ist es, dass sich die Grünen zwischen den „politischen Lagern” entscheiden müssen? In 7 von 100 Simulationen gibt es eine rechnerische Mehrheit für rot-rot-grün. In 22% dieser Simulationen gibt es neben rot-rot-grün auch rechnerische Mehrheiten für schwarz-grün oder Jamaika. Das ist insgesamt in knapp 2 von 100 Simulationen. Dass sich die Grünen entscheiden müssen, ist also sehr unwahrscheinlich.
Ist der Ausgang der Wahl wirklich noch völlig offen? Wahrscheinlich nicht. Können wir deshalb exakt vorhersagen, was am 24. September passiert? Sicher nicht. Umso wichtiger ist die klare Kommunikation von Unsicherheit in Prognosen.
Ich kann Ihnen bereits sagen, wie die Wahl ausgeht!
Zeigen Sie es uns in unserem neuen Wahlerwartungs-Tool
Sie wissen heute schon wie die Wahl am 24. September ausgeht? Wir interessieren uns für Ihre Erwartungen über den Wahlausgang! Dazu können Sie ab heute unser neues Wahlerwartungs-Tool nutzen. Mit den Schiebereglern können Sie Ihre Erwartungen für das Wahlergebnis angeben. Es geht dabei nicht um ihr Wunschergebnis, sondern vielmehr darum, was Sie für ein realistisches Wahlergebnis halten. Wir sind gespannt wie gut unser Modell das Wahlergebnis vorhersagt und ob Sie nicht vielleicht sogar viel besser sind als wir. Wir freuen uns auf Ihre Tipps und werden nach der Wahl die besten Tipps, wenn Sie damit einverstanden sind, hier veröffentlichen.